Christian Thielemann

im Gespräch 1996

Ein Schwieriger?
Ein exzellenter Dirigent!

Christian Thielemann machte schon aus ganz unmusikalischen Gründen Schlagzeilen. Seine Karriere ist dennoch nicht aufzuhalten. Denn er ist ein phänomenaler Dirigent, wie bei Verdis »Otello« in Bologna wieder festzustellen war.

In Bologna erntete Christian Thielemann Jubelstürme für seine Interpretation von Verdis Otello: souverän, mit klarer Übersicht, dennoch voll von Spannung, Erregung, Poesie, aber auch mit jenem Schuß von unentrinnbarer Gewalttätigkeit, der dieser Musik an Schlüsselstellen eigen ist.

Das zählt zum Feinsten, was Maestri unserer Tage bieten. Dazu ein prachtvoller neuer Titelheld, Kristijan Johannson, der verschlagene, stimmlich unerhört differenzierende Jago von Renato Bruson und eine ordentliche Desdemona, Kallen Esperian.
Sie alle machen vergessen, daß die Bologneser Produktion in einem scheußlichen Gefängnishof-Bühnenbild abläuft.

Thielemann nimmt sich im Gespräch kein Blatt vor den Mund:
Ich bin ja nicht engagiert, um auch noch zu inszenieren.
Er hat offenkundig keine Lust, die sprichwörtliche Berliner Schnauze zu verleugnen. Das - und sein unbestreitbares Talent - haben ihm früh Feinde geschaffen. Der Ruf, »schwierig« zu sein, stört Thielemann nicht:
Wenn einer als kompliziert gilt, dann will ich den sehen. Mit solchen Leuten habe ich die besten Erfahrungen gemacht. Denn die sind entweder verrückt; oder verzweifelt über das viele Mittel- und Tiefstmaß, das uns überall umgibt.
Dem Mainstream, der das internationale Musikgeschäft durchzieht, hat sich Thielemann denn auch konsequent verweigert:
Ich stelle mich nicht an. Hab' ich nie gemacht. Dazu bin ich zu sehr Widder. Ich habe auch meine Karriere nicht durch Politik gemacht; oder durchs Bett. Ich habe immer so getan, als ob ich die entsprechenden Signale, die da ausgesandt wurden, einfach nicht kapiert hätte.

Wagner - Pfitzner - konservativ!

Überhaupt Politik:
Wenn einer Wagner dirigiert und auch noch Pfitzner und Strauss, dann muß er doch ein Konservativer sein, oder?
bringt der Dirigent bissig die Tendenz der Kommentatoren - vor allem in Deutschland - auf den Punkt. Man erzählt hinter vorgehaltener Hand von mißliebigen Äußerungen des jungen Künstlers. Thielemann:
Das ist eine Schweinerei.

Es hieß, es gäbe ein Tonband.
Gut, sage ich: Spielen Sie mir das Tonband vor.

Dann hieß es, es gäbe ein Video.
Gut: das Video.
Tatsächlich gab und gibt es nur Gerüchte. Die aber sind - a propos Otello - langlebig.

Prozeß in Nürnberg

In Nürnberg suchte man sich des unbequemen Generalmusikdirektors Thielemann zu entledigen. Die Folge: Ein Prozeß, den der Dirigent mit Bomben und Granaten gewann. Seine musikalischen Leistungen sprechen für sich. Ob London, New York, Tel Aviv, wo immer Thielemann debütiert, folgen die nächsten Einladungen auf dem Fuß. Nun hat ihn Götz Friedrich zum Chefdirigenten der Deutschen Oper Berlin gemacht.

Thielemann, dieserart zurück an der Stätte seiner ersten Opernerfahrungen als Hörer und als Korrepetitor, hat keine Berührungsängste mit dem »großen Repertoire«:
Nehmen Sie Beethoven. Die Jungen haben sich alle nicht getraut, Beethoven-Symphonien ins Programm zu nehmen.
Ich spiele Beethoven.
Und zwar, wie könnte es anders sein, fern von jeglicher Ideologie, die sich spätestens seit den Eroberungsfeldzügen der »Originalinstrumentenapostel« in der Interpretationsgeschichte breit gemacht hat:
Wir spielen so spontan, wie es geht. Ob irgendeiner sagt, das ist korrekt oder nicht korrekt, ist doch egal. Soll einer es schrecklich finden, der andere findet es vielleicht großartig. Nur nicht dieses ewige Mittelmaß.

Ein Unzeitgemäßer bahnt seinen Weg. Er wird nicht aufzuhalten sein, zumal ihm nebst viel Energie und Expressivität auch ein wacher Intellekt zu Gebote steht:
Ich habe mein Abitur in Griechisch gemacht.
Da lernen Sie das Denken!

↑DA CAPO

→ Im Gespräch 2006